Luftfahrt als Vorbild für Operational Excellence? SMED
- Moritz Hirscher
- 14. Aug. 2020
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2021
Gehirn aus, Autopilot an?! Eines von gängigen Vorurteilen mit dem Piloten heutzutage konfrontiert werden. Dabei ist Luftfahrt viel mehr als das! Man mag es kaum glauben, aber die Parallelen zur Operationellen Exzellenz, gängigen LEAN Management Werkzeugen, sowie insb. der Kultur der kontinuierlichen Verbesserung sind eklatant.
Als ehemaliger Porsche Consulting Berater und Director Operational Excellence sowie Werksleiter, möchte ich als nunmehr Pilot unseren Arbeitsalltag mit einigen Beispielen in Relation zur Operationellen Exzellenz setzen, damit Sie die Parallelen nachvollziehen und eine Brücke zu Ihrem spezifischen Prozess schlagen können.
Zum Einstieg habe ich mir als Beispiel „schnelles Rüsten“ (SMED) ausgesucht. Darunter verstehe ich nicht nur klassischerweise das Umrüsten einer Maschine, sondern z.B. eben auch das Umrüsten eines Operationssaales im Krankenhaus, beim Wechsel von einem zum anderen Patienten … oder eben eines Passagierflugzeuges bei einem Turnaround. Versuchen wir dies in Beziehung zueinander zu setzen und zu verstehen, was die Erfolgsfaktoren der Luftfahrt sind.

Der Turnaround definiert sich von Block-On am Gate bis zum Off-Block des Fliegers. Im Prinzip ist dies tote Zeit, denn während der Stehzeit wird kein Geld verdient. Die Werte für einen Turnaround liegen in der Branche für Kurz- und Mittelstrecke je nach Streckennetz zwischen 30 und 60 Minuten. Dabei ist es eher unüblich, dass geplante Wartungsarbeiten am Flieger verrichtet werden, während Passagiere Ein- und Aussteigen. Während dieser Zeit wird, das Flugzeug be- und entladen, betankt, Frischwasser aufgefüllt und Abwasser abgelassen, innen gereinigt, sowie die Fluggastzahlen vom Gate weitergegeben. Diese Prozesse werden vom sog. Ramp Agenten koordiniert und alle Informationen an das Cockpit gesammelt weitergegeben. Der Ramp Agent und seine Fähigkeiten spielen bei jedem Turnaround eine entscheidende Rolle, ob es zu einem pünktlichen Abflug kommt oder nicht. Von Seiten der Crew wird von außen das Flugzeug inspiziert, die Kabinenbesatzung checkt die Sicherheitsausrüstung, und das Flight Management System wird mit Daten gefüttert. Anschließend werden alle Eingaben überprüft und im Briefing besprochen. Sie sehen also: Hier den Überblick zu behalten, ist insb. für den Kapitän als verantwortlichen Luftfahrzeugführer eine Herausforderung vor allem an Tagen, an denen alles gegen einen pünktlichen Abflug arbeitet. Was sind also wesentliche Erfolgsfaktoren, um hier einen reibungslosen Ablauf zu garantieren? Schauen wir uns das genauer an.
______________________________________________
Faktor 1 – Glasklare Aufgaben, Kompetenzen & Verantwortlichkeiten
Hingegen der landläufigen Meinung „der Co-Pilot fliegt nur mit“ ist in der modernen Fliegerei die Aufgabenverteilung während eines jeden Fluges in sog. „Pilot Flying – fliegender Pilot“ und „Pilot Monitoring – nicht fliegender Pilot“ aufgeteilt. An einem Tag mit mindestens zwei Flugabschnitten, z.B. Hin- und Rückflug, nimmt jeder der beiden Piloten einmal die Rolle des Pilot Flyings und einmal die des Pilot Monitorings ein, während der Kapitän immer die Entscheidungshoheit im Flugzeug behält und somit letzte Instanz ist. Die klar geregelte Rollenverteilung führt dazu, dass es in jeder Fluglage glasklar ist, wer welchen Knopf dreht oder drückt, wer funkt, wer Daten in das Flight Management System (FMS) eintippt, wer eine Checkliste ausruft, wer sie vorliest und wer die entsprechenden Systeme wann kontrolliert. Sie sehen also, die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten haben verschiedene Ebenen. Der Kapitän ist zwar auf der Makroebene immer der Kapitän, er kann aber je nach Flug auch nicht der fliegende, sondern „nur“ der überwachende Pilot sein. Seine Aufgaben als reiner Pilot ändern sich also, aber sie sind zu jedem Zeitpunkt glasklar definiert. Genauso weiß der Co-Pilot, dass er zwar das Flugzeug fliegt, die schlussendliche Entscheidungsgewalt nichts desto trotz beim Kapitän verbleibt.
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: Die Aufgabenbereiche sind klar beschrieben, jeder hat seinen klar definierten Bereich. Kompetenzgerangel, Doppelarbeit oder eben das Vergessen von zu erledigenden Aufgaben wird minimiert. Auftauchende Fragen oder Unklarheiten können immer sofort an die richtige Stelle adressiert werden.
Fragen an Sie zur Anregung: Finden Sie sich in Ihrem Rüst- oder OP-Wechsel wieder? Sind bei Ihnen die AKVs der einzelnen Mitarbeiter glasklar geregelt? Wird bei Ihnen auch tatsächlich nichts vergessen? Ist Ihr Prozess bzgl. Aufgabenteilung absolut konfusionsfrei? Wenn Sie die Fragen dieses Abschnitts bereits mit „Ja“ beantworten konnten, dann bin ich mir sicher, dass Sie kein LEAN-Anfänger, sondern bereits im fortgeschrittenen Operational Excellence-Stadium sind.
______________________________________________
Faktor 2 – Standardisierung von Verfahrensabläufen, Flugzeugvarianten, Sprache und Kommandos

Im 1. Faktor haben wir besprochen, dass es im Cockpit auf jedem Flug einen Fliegenden und einen Überwachenden Piloten gibt. Gehen wir hierauf nochmal genauer ein. Wer auf welchem sog. „Leg“ der Fliegende Pilot ist, ist von enormer Wichtigkeit, weil bereits mit Ankunft am Flugzeug durch die „Standard Operating Procedures (SOPs)“ exakt festgelegt wird, wer z.B. was am Flugzeug überprüft, wer die Route eingibt und in welcher Reihenfolge von wem welche Systemchecks durchgeführt werden. Schlussendlich führt auch der Fliegende Pilot das „Departure Briefing“ durch, bei dem die Highlights der Abflugroute und der Emergencyroute beim Triebwerksausfall in einem genau festgelegten Schema besprochen werden. Dabei möchte ich nochmal das Augenmerk darauf legen, dass die SOPs nicht nur festlegen wer, was macht, sondern auch genau in welcher Reihenfolge was wie gemacht wird. Der Vorteil liegt auf der Hand, denn damit etablieren sich für die Piloten sog. „Flows“, also Verfahrensroutinen, mit denen die Abarbeitung der einzelnen Schritte teilweise verinnerlicht werden. Denn eines ist klar: Piloten fliegen nicht mit dem aufgeklappten Buch auf dem Schoß, sondern müssen vieles aus dem Kopf abrufen, während sie das Flugzeug steuern.
All diese einzelnen Schritte sind im sog. Operations Manual „B“, beim Airbus das sog. „Flight Crew Operations Manual (FCOM)“, beschrieben. Dabei dient das FCOM als Verfahrensanweisung und die Checkliste als Sicherstellungsmaßnahme, dass für die jeweilige Flugphase alle entsprechenden Systeme (de-)aktiviert wurden. Ebenso gibt es solche SOPs für die Kabinenbesatzung, Techniker, Ramp Agenten sowie für das gesamte Bodenpersonal, inkl. den Mitarbeitern am Check-In, am Gate oder an der Sicherheitskontrolle. Selbst der Sprechfunk zwischen Cockpit und Lotsen, sowie Bodenpersonal am Headset, wird in einer standardisierten Phraseologie durchgeführt, um Missverständnissen vorzubeugen.
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: In einem Unternehmen mit tausenden Mitarbeitern ist es im Prinzip völlig egal, mit wem Sie sich morgens zum Briefing treffen oder das Flugzeug gemeinsam be- und entladen. Selbst kurzfristige Planänderungen im Einsatz, führen nicht zu Unklarheiten über die Arbeitsweise zwischen den Kollegen. Jedes Besatzungsmitglied und jeder Bodenmitarbeiter weiß zu jedem Zeitpunkt genau, was der andere tut, weil alle Prozesse gleich bzw. standardisiert durchgeführt werden! Somit wird vor allem Konfusion vermieden. Es wird sichergestellt, dass alle Systeme abgearbeitet werden, und schlussendlich wird somit Sicherheit garantiert. Transferieren Sie das Wort „Sicherheit“ in „Qualität“, vielleicht finden Sie sich dann sofort in Ihrem Prozess wieder. Oder wie oft habe ich den Satz schon gehört: „Ha noi, i mach des immer anderscht, da läuft'd Maschine besser!“. Sind in Ihrem Unternehmen wirklich immer alle Mitarbeiter Herr des akutellen Geschehens?
Schließlich möchte ich noch erwähnen, dass vor allem Airbus, als Pionier der Standardisierung bereits in den 1980er Jahren mit Einführung der A320-Familie (A318, 319, 320, 321, inkl. NEOs), sowie der A330/340/350/380er Baureihen, eine Breite Palette an standardisierten Systemen, Baukastenprinzipien und Verfahren eingeführt hat, sodass die Umschulung von einem auf das andere Muster in wenigen Tagen absolviert werden kann. Dabei ist die reine Architektur der Hydraulik u.U. von Muster zu Muster verschieden, aber die Cockpits und die Verfahren sind fast identisch.

Übertragen Sie das auf Ihren Maschinenpark oder Ihre Operationssäle! Sieht bei Ihnen auch, von der reinen Bedienung und Anordnung her, alles standardisiert aus? Sie sehen also, nicht Volkswagen ist der Pionier des Baukastenprinzips, Airbus hat das bereits 30 Jahre zuvor angepackt. Man hätte nur aus anderen Branchen über den Tellerrand hinausschauen müssen.
Fragen an Sie zur Anregung: Sind Ihre Verfahren genau beschrieben? Kennen Ihre Mitarbeiter diese Verfahren? Halten sich Ihre Mitarbeiter auch penibel an die Verfahren? Sind Ihre Verfahren über alle Maschinen, Operationssäle oder Dienstleistungen weitestgehend standardisiert? Benutzen Sie das Baukastenprinzip für die Entwicklung neuer Produkte oder die Installation bzw. Bedienung neuer Maschinen? Wenn Sie das alles wirklich mit „ja“ beantworten können, dann bin ich schwer begeistert und werde meine nächste Werks- bzw. Unternehmensbesichtigung bei Ihnen durchführen. Versprochen!
______________________________________________
Faktor 3 – Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)

In der Fliegerwelt wird komischerweise der Begriff KVP recht wenig explizit verwendet, obwohl er doch tagtäglich exzessiv gelebt wird. Die Notwendigkeit der Fokussierung auf kontinuierliche Verbesserung liegt einfach darin begründet, dass viele Abstürze und Unfälle mit Menschenleben bezahlt wurden und werden. Fliegen macht unheimlich Spaß, ist aber keiner! Aus diesem Grund wird Sicherheitskultur in der Fliegerei nicht nur groß, sondern riesengroß geschrieben. Interessanterweise haben sich relativ viele der oben angesprochenen Ansätze im Gleichlauf parallel zu LEAN Management Tools, wie man sie in der Industrie vorfindet, entwickelt. Am Ende des Tages entfalten diese aber mit anderem Namen die selbe Wirkung.

Getrieben wird der KVP in der Luftfahrt durch folgende Faktoren:
Einer offenen Feedbackkultur, gepaart mit einer flachen, aber doch spürbaren Hierarchie. Niemand soll eingeschüchtert sein, einem seltsam vorkommende Auffälligkeit zu melden. Ich möchte hier das Sprichwort anbringen „The strange feeling inside of you when sth. goes wrong is always right“. Versetzen Sie sich mal in die Rolle einer jungen Flugbegleiterin an einem Tag, an dem im Cockpit womöglich noch ein zusätzlicher Ausbilder sitzt. Die Barriere der Angst bzw. der Vorsicht, dass sich diese Mitarbeiterin traut, das Interphone in die Hand zu nehmen und vorne anzurufen, muss sofort gebrochen werden, denn vielleicht ist genau ihr Input der, der ultima Ratio Leben rettet. Auf diesen Faktor wird in der Luftfahrt extrem viel Wert gelegt. Viele Kapitäne thematisieren dies z.B. beim ersten Briefing explizit, und die Airlines schulen dies auch in gesonderten Kommunikationstrainings. Die Teamleistung steht hier an vorderster Stelle.
Weiterhin spielt in der kontinuierlichen Verbesserung ein ausgefeiltes Safety- und Reportingsystem eine Rolle. Hierbei geht es explizit nicht um Denunziation. Vielmehr gliedert sich das System in gesetzlich vorgegebene Reportings an die Luftsicherheitsbehörden auf, z.B. wenn man beim Anflug Vogelschlag erleidet. Daneben gibt es aber eben auch das interne System der Airline. Hierbei können Mitarbeiter anonym oder mit Klarnamen Berichte schreiben. Berichtet wird natürlich auch über (vermeintliches) Fehlverhalten oder Unstimmigkeiten innerhalb der Crews oder Mitarbeiter. Der Kern des ganzen liegt aber eher darin, Berichte über selbst begangene Fehler der Crew zu schreiben und aus diesen zu lernen. In den meisten Airlines werden in definierten Abstände in einer Art Bulletin die prominentesten Fälle anonym veröffentlicht, damit alle daraus lernen können. Daneben werden natürlich auch Trends herausgearbeitet, um darauf mit z.B. neuen Verfahrensanweisungen oder Änderungen im Dienstplankonzept zu antworten. Die Reports müssen in einem vorgegebenen Zeitrahmen abgearbeitet werden und mit den Mitarbeiter besprochen werden.
Schlussendlich werden, gesetzlich vorgeschrieben, bei Vorfällen oder Unfällen die offiziellen Ermittlungsergebnisse weltweit, meist unter der Mitarbeit der Hersteller, veröffentlicht. Auch hier sind die Trendanalysen eklatant wichtig, wie unlängst sehr prominent am Flugverbot der Boeing 737 MAX zu sehen ist.
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: Einbeziehung aller Ressourcen zur Vermeidung von Vorfällen und Unfällen. Implementierung einer Kultur, die offen mit Fehlern umgeht, ohne die Mitarbeiter (außer bei grobem Vorsatz) zu bestrafen, sondern sie darin zu bestärken, aufgetretene Fehler zu melden, um systemische Fehler auszumerzen.
Fragen zur Anregung an Sie: Haben bei Ihnen auch die untersten Mitarbeiterlevel die Möglichkeit, konstruktives Feedback (persönlich oder technisches) zu geben? Haben Sie auch einen standardisierten Feedbackprozess mit definierten maximalen Zeiträumen für die Bearbeitung der Reports? Wer wird bei Ihnen bei entstandenen Fehlern angegangen, der Mitarbeiter oder der falsche Prozess? Wenn Sie alle Fragen bejahen können, Sie sich bei der Fehlersuche immer auf den Prozess und nicht auf den Mitarbeiter stürzen, Sie bei allen anderen Erfolgsfaktoren ebenso immer mit „Ja“ sich die Fragen beantwortet haben, dann kann ich eher etwas von Ihnen lernen, als anders herum.
Wenn nicht, dann freue ich mich auf die Möglichkeit, mich mit Ihnen auszutauschen und Ihnen womöglich zu helfen sich zu verbessern. Kontaktieren Sie mich noch heute für einen unverbindlichen Austausch!
Herzlichst,
Ihr Moritz Hirscher

Yorumlar